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Strom-Versorgungszielnetzplanung: Was Energiewirtschafter jetzt wissen und entscheiden müssen

Autor: Gian Carle


Stock Photo provided by Shutterstock
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Definition und Bedeutung der Versorgungszielnetzplanung


Unter Versorgungszielnetzplanung versteht man ein langfristiges, szenariobasiertes Zielbild des Netzes (Hochspannung (HS)/Mittelspannung (MS)/ Niederspannung (NS)), das die künftigen Bedarfe von Erzeugung, Verbrauch, Flexibilität, Qualität und Resilienz systematisch abbildet. Leitend ist in der Schweiz das NOVA-Prinzip: Netz-Optimierung vor Netz-Verstärkung vor Netz-Ausbau. Es ist seit der Revision des Stromversorgungsgesetzes (StromVG) ausdrücklich gesetzlich verankert (Art. 9b Abs. 2)[i]. Damit soll ein bedarfsgerechter, kostenwirksamer Ausbau sichergestellt werden – erst betriebliche und digitale Optimierung, dann gezielte Verstärkung, und nur wo nötig Ausbau[ii].

 

Operativ stützt sich Zielnetzplanung auf Mess- und Betriebsdaten, auf Prognosen (Photovoltaik (PV), Wärmepumpen, E-Mobilität) sowie auf Szenario- und Netzsimulationen. Nationale Leitprodukte wie die Smart-Grid-Roadmap des Bundesamts für Energie (BFE) geben hierfür Orientierungsrahmen (Messwesen, Netzautomatisierung, Daten- und Geoinformation)[iii].


Einflüsse der politischen und sozialen Rahmenbedingungen


Die energie- und netzpolitische Taktung setzt das am 9. Juni 2024 deutlich angenommene Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (oft „Stromgesetz“/Mantelerlass)[i]. Es stärkt den erneuerbaren Zubau, präzisiert Netz- und Flexibilitätsregeln und erhöht damit die Anforderungen an Planung, Genehmigung und Umsetzung[iv].


Auf der Höchstspannungsebene bildet Swissgrids „Netz der Zukunft“ die Boundary-Conditions: 31 wesentliche Projekte bis 2040, Investitionen von rund 5.5 Mrd. CHF, inkl. Optimierungen, Verstärkungen und punktuellem Aus-/Rückbau – mit direkter Relevanz für die Last- und Einspeiseflüsse in den Verteilnetzen[v].

 

Parallel verschärft die Digitalisierung die Cyber-Resilienz-Pflichten: Die vom Bund definierten Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) - Minimalstandards sind für die Strombranche seit 1. Juli 2024 verbindlich – ein Muss für jede datengetriebene Netzplanung (Operational Technology / IT, Mess- und Steuerungstechnik)[vi].


Tarif- und Regulierungspraxis rahmen die Wirtschaftlichkeit: ElCom-Wegleitungen (z. B. Tarife 2026, Kostenrechnung) und neue Weisungen (u. a. zu Netzverstärkungen) konkretisieren Methodik, Datennachweise und Anrechenbarkeit – wichtig für die Ableitung von Investitionspfaden aus der Zielnetzplanung[vii].


Technologische Herausforderungen und Innovationen in der Netzinfrastruktur


Die Transformation führt von wenigen zentralen Einspeisern zu hunderttausenden dezentralen Anlagen und neuen flexiblen Lasten. Ohne Steuerung steigen Spannungsverletzungen und der Ausbaubedarf.

 

Innovationsfelder mit unmittelbarem Nutzen für NOVA-konforme Zielnetze sind:

  • Monitoring & State Estimation bis in die NS-Ebene (Smart Meter, Stationssensorik, Datenplattformen) als Grundlage für Engpass-Erkennung, Spannungsqualität und Verlustanalysen[iii].

  • Aktive Netzführung: regelbare Ortsnetztrafostationen, Spannungs-/Blindleistungsmanagement, FLEX-Markt-Anbindung, dynamische Betriebsgrenzen.

  • Flexibilitätsintegration: Das Stromversorgungsverordnung (StromVV)-Regelwerk definiert „netzdienliche Flexibilität“ (Art. 19a)[viii] – rechtlicher Pfeiler, um Flex-Ressourcen gezielt als Optimierung vor Verstärkung/Ausbau einzusetzen. Mit Optimierungs-Algorithmen um die Kosten hinter dem Zähler zu senken und Erträge vor dem Zähler zu erhöhen, kann die Flexibilität neben der Netzdienlichkeit eingesetzt werden.

  • Sektorkopplung & Vehicle-to-Grid (V2G): ETH-Studien mit Nexus-e beziffern den systemischen Wert von bidirektionalem Laden; netzseitig wirken gesteuerte Wärmepumpen/EV-Ladung als entlastende Flex[ix].


Nachhaltigkeit und der Übergang zu erneuerbaren Energien


Der rasche PV-Zubau (Dach, Fassade, alpine Anlagen) erhöht Einspeisespitzen und saisonale Preis-Spreizungen. NOVA-konforme Zielnetze kombinieren darum betriebliche Massnahmen (gezielte Planung und Steuerung von Schaltzuständen in elektrischen Netzen) mit Flexibilitäten (E-Mobilität, Wärmepumpen, Batterien) – und erst anschliessend bauliche Verstärkungen. Das reduziert die Total Expenditure (TOTEX[x]) und beschleunigt die Umsetzung, ohne Versorgungsqualität zu kompromittieren.


Zukunftsausblick und strategische Empfehlungen für Energiewirtschafter


Erstens: Daten- und Szenariofähigkeit professionalisieren. Etablieren Sie eine durchgängige Datenbank (Mess-, Netz-, Tarifierungs-, Geodaten) und ein reproduzierbares Szenariogerüst (PV/WP/EV), das die gesetzlichen Leitplanken integriert[iii].


Zweitens: NOVA operationalisieren. Verankern Sie Flexibilitätsnutzung als erste Stufe (StromVV Art. 19a[viii]), bevor CAPEX-intensive Verstärkungen ausgelöst werden; dokumentieren Sie Alternativen und Wirtschaftlichkeit im Sinne der ElCom-Wegleitungen[xi]. 


Drittens: “Cyber-Resilienz by Design” - planen Sie Digitalisierung von Messwesen/OT Feldtechnik und Stationsausrüstung, Schutz-/Leittechnik, das Leitsystem, die Steuerung dezentraler Ressourcen (PV, Heimspeicher, Wärmepumpen, Ladepunkte, nur mit erfüllten IKT-Minimalstandards. Dies ist seit 01.07.2024 verbindlich[vi].


Viertens: Minimieren Sie Ihre Ausgleichsenergie und ihre Lastspitzen.


Fünftens: Stakeholder- und Tariftransparenz. Frühzeitige Kommunikation zu Netzausbau, Flex-Instrumenten und Tarifentwicklung (ElCom-Wegleitungen, Preisberichte) erhöht Akzeptanz und Investitionssicherheit – gerade bei dicht bewohnten Gebieten und Ladeinfrastruktur.


Wie kann Swiss Energy Planning von geoimpact helfen?


Für die Zielnetzplanung braucht es gebäudescharfe, räumlich verknüpfte Informationen zu Gebäudenutzung, Potenzialen (PV, Wärmepumpen), Mobilität, thermischen Netzen und Betreiberabgrenzungen.  Es braucht auch eine klare Verknüpfung zwischen Gebäuden und Zähler.


Swiss Energy Planning stellt solche Datensichten integriert bereit und beschleunigt damit Hotspot-Analysen, Kapazitäts-Analysen und Etappenplanung – vom Gebäude über den Trafokreis bis zur Gemeinde. Staatliche Referenzrahmen, etwa die BFE-Seite „Digitalisierung & Geoinformation“ und die Smart-Grid-Roadmap, unterstreichen die Notwendigkeit eines daten- und GIS-gestützten Netzplanungsansatzes.


Die Versorgungszielnetzplanung ist in der Schweiz regulatorisch klar gerahmt (StromVG Art. 9b, StromVV Art. 19a)[i], politisch legitimiert (Abstimmung vom 9.06.2024) und technisch durch Swissgrids Programme sowie Smart-Grid-Leitplanken konkretisiert. Wer NOVA konsequent lebt, Flexibilitäten netzdienlich erschliesst, Cyber-Resilienz verankert und auf hochwertige Geodaten sowie belastbare Szenarien setzt, minimiert TOTEX und erhöht Versorgungsqualität – robust gegenüber Wachstum von PV, Wärmepumpen und E-Mobilität.


In der nächsten Ausgabe werden wir eine Reihe von Praxisbeispiel hervorheben.


x TOTEX steht für "Total Expenditure", also die Gesamtkosten, die alle Ausgaben für Betriebskosten (OPEX) und Investitionskosten (CAPEX) umfassen.


 
 
 

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