Wie plant man das Zielnetz der Zukunft?
- Richard Weiss
- vor 6 Tagen
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Stunden
Die Energiebranche in der Schweiz befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Mit dem Ziel einer nachhaltigen Energiezukunft stehen Netzbetreiber, Versorgungsunternehmen und politische Entscheidungsträger vor der Frage: Wie plant man das Zielnetz der Zukunft?

In einer Welt, die zunehmend von erneuerbaren Energien, Elektromobilität und dezentraler Erzeugung geprägt ist, reicht es nicht mehr aus, Netze lediglich zu betreiben – sie müssen aktiv gestaltet, überwacht und laufend optimiert werden. Die Planung des Zielnetzes der Zukunft verlangt neue Werkzeuge, neue Denkweisen und ein klares strategisches Fundament.
In diesem Beitrag nehmen wir Sie mit auf eine Reise durch die zentralen Herausforderungen, Lösungsansätze und Visionen zur Planung eines zukünftigen Stromnetzes.
Die Herausforderungen der Energiewende
Die Schweiz verfolgt ambitionierte Ziele im Rahmen ihrer Energiestrategie 2050. Der Atomausstieg, der massive Ausbau der Photovoltaik (plus 45 TWh), die Elektrifizierung der Mobilität und der Wärmeversorgung sowie der zunehmende Eigenverbrauch dezentral erzeugter Energie stellen die bestehenden Verteilnetze vor immense Herausforderungen. Gleichzeitig prognostiziert Swissgrid bis 2040 Investitionen von 5.5 Mrd. Franken in 31 kritische Netzausbauprojekte[1].
Traditionelle Stromnetze wurden für eine zentrale Energieversorgung mit wenigen Einspeisepunkten konzipiert. Heute aber wird Strom immer häufiger dort erzeugt, wo er verbraucht wird – oder eben nicht: auf Hausdächern, auf Bauernhöfen, in Parkhäusern mit Solardächern. Diese Dezentralität sorgt für Rückflüsse, Spannungsschwankungen und erhöht die Komplexität des Netzbetriebs. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Netztransparenz,
Effizienz und Flexibilität.
Volatile Lastprofile: Studien der Universität Genf zeigen, dass ungesteuerte Elektromobilität und PV-Einspeisung bis 2050 Netzausbaukosten von 11 Mrd. Franken verursachen können. Besonders kritisch: Spannungsverletzungen durch Solarüberproduktion (+18.5%) und Lastspitzen bei simultanem E-Auto-Laden.
Räumliche Disparitäten: Wie das BFE betont, erfordern ländliche Netze mit geringer
Lastdichte 2.5-fach höhere Investitionen pro Anschluss als urbane Gebiete. Gleichzeitig lasten grenzüberschreitende Stromflüsse aus Nordsee-Windparks die Schweizer Transitnetze zusätzlich aus.
Cyber-Resilienz: Die Smart-Grid-Roadmap warnt vor steigenden IT-Sicherheitsrisiken durch vernetzte Messsysteme und dezentrale Steuerungsknoten. Bis 2030 müssen 80% der Niederspannungsnetze Echtzeit-Monitoring implementieren, um kritische Infrastrukturen zu schützen.
Vom Status Quo zum Zielnetz – Ein notwendiger Paradigmenwechsel
Der Begriff „Zielnetz“ bezeichnet die langfristige, strategisch ausgerichtete Netzstruktur, die den Anforderungen der Zukunft gerecht wird. Die Planung eines Zielnetzes unterscheidet sich grundlegend von der rein operativen Instandhaltung bestehender Infrastrukturen. Es geht darum, Zukunftsszenarien zu antizipieren, technologische Entwicklungen zu integrieren und regulatorische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.
Zielnetze zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus:
Hohe Aufnahmefähigkeit für dezentrale Einspeiser wie Photovoltaik und Windenergie.
Flexibilität zur Integration neuer Verbraucher wie Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen
Hohe Transparenz durch Datenmonitoring und SmartGrid Technologien
Wirtschaftliche Effizienz bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit
Resiliente Strukturen zur Bewältigung von Extremsituationen und Lastspitzen
Bidirektionale Kommunikations- und Steuerungsfähigkeiten
Um von einem heutigen Netz zu einem solchen Zielnetz zu gelangen, braucht es systematische Planung, intelligente Analyse-Tools und eine enge Verzahnung von Technik, IT und Organisation.
Nutzen einer Zielnetzplanung für Stromnetze:
Langfristige Sicherstellung von Versorgungsqualität und Netzrentabilität: Die Zielnetzplanung ist das zentrale Instrument, um eine zuverlässige Stromversorgung und die Wirtschaftlichkeit des Netzes auch in Zukunft zu gewährleisten.
Effiziente Planung und Bewirtschaftung der Betriebsmittel (Assets): Sie ermöglicht eine strategische und vorausschauende Steuerung aller Netzkomponenten und sorgt so für einen optimalen Einsatz der vorhandenen Ressourcen.
Investitionssicherheit für aktuelle und zukünftige Projekte: Durch die Zielnetzplanung werden Investitionen planbar und nachvollziehbar, was die Finanzierung und Umsetzung von Projekten erleichtert.
Schrittweise und strukturierte Umsetzung mit klaren Meilensteinen: Die Netzmodernisierung kann in Etappen erfolgen. Zwischenziele sorgen für Transparenz und Kontrolle im Umsetzungsprozess.
Erleichterung der jährlichen Investitions- und Instandhaltungsplanung: Die Zielnetzplanung bildet die Grundlage für die systematische Auslösung und Priorisierung von Investitions- und Instandhaltungsprojekten im Rahmen der Netzstrategie.
Fundierte operative Netzplanung im Tagesgeschäft: Sie schafft die Basis für präzise Analysen und Entscheidungen, zum Beispiel bei Anschlussgesuchen für Photovoltaik-Anlagen oder Ladeinfrastruktur für Elektromobilität und Batteriespeicher.
Vom Konzept zur Umsetzung
Viele Energieversorger führen Projekte durch, die genau diesen Transformationsprozess modellhaft begleiten. Dieses Konzept zeigt exemplarisch, wie ein modernes Verteilnetz in Richtung Zukunft entwickelt werden kann.
Ziel: Netztransparenz als Basis
Ein zentrales Ziel des Projekts soll, die vollständige Netztransparenz im Mittel- und Niederspannungsbereich zu schaffen. Transparenz bedeutet hier: zu jeder Zeit ein vollständiges Bild über die Netzauslastung, Einspeisung, Verbrauch und Spannungssituation zu haben. Erst mit diesen Daten lassen sich fundierte Entscheidungen treffen – ob für den Netzausbau, das Lastmanagement oder Investitionen in Steuerungs- und Regeltechnik.
Der Weg: Drei Entwicklungsstufen
Ein Lösungskonzept sieht eine stufenweise Einführung vor:
Analyse des IST-Netzes: Das ganze Netz im Mittel- und Niederspannungsbereich wird transparent dargestellt.
Netzmonitoring: Aufbau eines Monitorings auf Basis des bestehenden Netzes und der bestehenden Messdaten (zB Smart Meter. Ziel ist es, Engpässe zu erkennen und erste datenbasierte Analysen zu ermöglichen.
Netzbewertung: Integration zusätzlicher Datenquellen und Analyse-Algorithmen zur Bewertung der Netzzustände, Identifikation kritischer Komponenten.
Zielnetzplanung auf Basis der gesammelten Informationen erfolgt die strategische Netzplanung. Hier fliessen Forecasts zur Elektromobilität, PV-Ausbau, Gebäudeentwicklung und regulatorische Anforderungen ein. Nach Bildung von zukünftigen Szenarien bezüglich Zubau von E-Mobilität, Wärmepumpen und PV werden die diversen definierten Szenarien simuliert und deren Auswirkungen auf die langfristige Netzkostensituation in technischer Hinsicht (Effizienz, Schwachstellen, Zukunftsfähigkeit) analysiert sowie die heutige und zukünftige Netzrentabilität (Asset, Kapital-, Betriebskosten) erstellt.
Umsetzung in Etappen: Stufenweise und in geeigneten Schritten können technisch umsetzbare und finanziell verkraftbare Ausbauschritte definiert und umgesetzt werden. Unter Anwendung des NOVA-Prinzips (Netzoptimierung, vor -verstärkung, vor-ausbau) werden die verschiedenen Etappen abgestimmt.
Jede Stufe baut auf der vorherigen auf und wird durch digitale Werkzeuge unterstützt – etwa durch ein Netzleitsystem, ein Datenhub oder KI-basierte Analysefunktionen.
Daten als Fundament – Smart Metering und IoT
Ein zentrales Element moderner Netzplanung ist die Erhebung und Verarbeitung von Messdaten. Smart Meter, Einspeisemanagementsysteme, IoT-Sensoren und weitere Quellen bilden das Rückgrat der Datengewinnung.
Der Clou: Es geht nicht um Daten um der Daten willen, sondern um deren intelligente Nutzung. Mittels Zeitreihenanalyse, Clustering und Maschine-Learning lassen sich Muster erkennen, Prognosen ableiten und Netzmodelle validieren. Die Planung des Zielnetzes wird so nicht nur präziser, sondern auch resilienter – weil sie auf realen Verbrauchs- und Erzeugungsdaten basiert, nicht nur auf Annahmen.
Schnittstellen und Zusammenarbeit – Der Mensch im Mittelpunkt
So technikgetrieben die Zielnetzplanung auch ist: Sie bleibt ein interdisziplinärer Prozess. Erfolgreiche Projekte zeigen, dass Technik, Organisation und IT zusammen gedacht werden müssen.
Ein gutes Netzmonitoring integriert a) Netzplanung & Engineering (für Modellierung, Simulation, Ausbauplanung), b) Betrieb & Instandhaltung (für Feedback zu Engpässen und realen Lastverläufen), c) IT & Datenmanagement (für sichere und performante Datenverarbeitung) und d) Strategisches Management (für Zielbild, Investitionsentscheidungen).
Wichtig ist auch die Einbindung von Externen: Gemeinden, Bauträger, Elektroinstallateure, Mobilitätsanbieter. Denn das Zielnetz ist kein statisches Konstrukt – es lebt von einem dynamischen Umfeld.
Herausforderungen auf dem Weg
Natürlich ist der Weg zum Zielnetz kein Selbstläufer. Einige der zentralen Herausforderungen:
Datenqualität und -verfügbarkeit: Viele Netzbereiche sind heute noch „blind“, da weder Smart Meter noch Messgeräte in den Verteilnetzkästen den Netzzustand messen und dies an eine Leitstelle melden.
Digitalisierung: Zuerst sind Massnahmen zur Optimierung des bestehenden Netzes (z.B. durch bessere Steuerung, Digitalisierung, Flexibilitätsnutzung) zu prüfen und umzusetzen. Mit dynamischen Netztarifen, Verwendung der Flexibilitäten, digitaler Steuerung können Netzausbau-Kosten gesenkt und das Netz optimaler genutzt werden, was zusätzliche Kompetenzen im Verteilnetz benötigt.
IT-Sicherheit: Der Schutz kritischer Infrastrukturen wird mit zunehmender Digitalisierung essenziell und ist gesetzlich vorgeschrieben (IKT-Minimalstandard).
Kultureller Wandel: Netzplanung wird datengetrieben – das erfordert neue Kompetenzen und Mindsets.
Investitionsbedarf: Der Wandel kostet Geld. Netzbetreiber müssen strategisch entscheiden, wann sie wo investieren.
Doch wer sich frühzeitig auf den Weg macht, schafft sich Wettbewerbsvorteile und systemische Resilienz.
Ausblick – Wie sieht das Netz der Zukunft aus?
Die Netzplanung der Zukunft ist digital, vorausschauend und partizipativ. Sie nutzt alle verfügbaren Daten, um zielgerichtet zu investieren. Sie reagiert flexibel auf neue Entwicklungen – etwa den Boom der Elektromobilität. Und sie denkt über den Tellerrand hinaus: Stromnetze werden vermehrt mit Wärme, Verkehr und Telekommunikation gekoppelt. Die Sektorkopplung ist keine Zukunftsmusik mehr, sondern ein zentrales Planungsparadigma. Das Zielnetz der Zukunft ist kein starres Zielbild, sondern ein sich stetig weiterentwickelndes System. Es verlangt Offenheit, Lernfähigkeit und eine klare Vision.
Wie plant man das Zielnetz der Zukunft?
Die Antwort ist so einfach wie komplex: mit Daten, mit Weitblick, mit Mut. Daten liefern die Grundlage für fundierte Entscheidungen. Weitblick erlaubt es, zukünftige Entwicklungen antizipieren. Und Mut braucht es, um neue Wege zu gehen, alte Routinen zu hinterfragen und neue Technologien zu integrieren.
Swiss Energy Planning von der geoimpact AG zeigt eindrücklich, wie dieser Weg aussehen kann. Es steht exemplarisch für eine neue Art des Netzdenkens – vernetzt, dynamisch, zukunftsgerichtet.
Wer heute beginnt, das Netz von morgen zu planen, wird nicht nur die Energieversorgung sichern – sondern aktiv an der Gestaltung einer nachhaltigen, resilienten Energiezukunft mitwirken.
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